Flamingo? Da denkt man unwillkürlich an rosa Gefieder, akzentuierten Schnabel und die einzigartige Silhouette des im Schlaf stets auf nur einem Bein stehenden Vertreters der Gattung „Phoenicopteridae“.
Genau letzteres diente Professor Dr. Jan Huisken, Forschungsgruppenleiter und Direktor der Abteilung Medical Engineering am >> Morgridge Institute for Research in >> Madison, WI (Wisconsin), als namensgebendes Merkmal für die von ihm und seinem Team entwickelten speziellen Lichtblattmikroskope. Deren Äußeres erinnert an die Silhouette des schlafenden Exoten.
Ziel des von mehreren Sponsoren unterstützten >> Flamingo Projektes ist es, Forschern diese modular aufgebauten Mikroskope kostenlos bereitzustellen – und zwar in deren Laboren.
Lichtblattmikroskopie: Technologie und Vorteile
Bei der Lichtblattmikroskopie, englisch „Light Sheet Fluorescence Microscopy“ (LSFM), werden Beleuchtungs- und Beobachtungsstrahlengang auf zwei Optiksysteme verteilt, die einen Winkel von 90° zueinander bilden. Der Laserstrahl zur Probenbeleuchtung wird in eine Ebene aufgefächert und bildet einen optischen Schnitt, der eine dünne Schicht innerhalb der Probe ausleuchtet. Das dort emittierte Fluoreszenzlicht wird vom Objektiv erfasst und detektiert.
Die Trennung von Beleuchtung und Beobachtung ermöglicht es, das Mikroskop quasi „um das Experiment herum“ aufzubauen. Anstatt Proben zwischen Objektträger und Deckglas „einzuzwängen“, werden sie in ein Hydrogel eingebettet und in eine zylindrische Probenkammer im Innern des Mikroskops eingebracht. Dort sind die physiologischen Bedingungen nahe an den natürlichen Gegebenheiten und ermöglichen auch Dauerexperimente mit lebenden Proben.
Probenbewegung kommt besondere Bedeutung zu
Der Probenbewegung fällt eine besondere Rolle zu, da die Probe translatorisch und rotatorisch bewegt wird. Hierfür stellt Physik Instrumente (PI) mehrere Subsysteme bei. “Wir sind stolz darauf, zu den Unterstützern und Sponsoren des wegweisenden Flamingo-Projekts von Jan Huisken zu gehören“, sagt Dr. Thomas Bocher, Leiter Segment Marketing Microscopy & Life Sciences bei PI. „Für das Flamingo-Projekt sind Zuverlässigkeit und Präzision der Module Schlüsselfaktoren. Hohe Präzision, schnelle Bewegungen und eine kompakte Größe der Antriebe zusammen mit hohen Produktionsstandards und Dienstleistungen von PI machen den Unterschied.”
Geringe Phototoxizität
„LSFM ist eine sehr leistungsstarke und flexible Plattform für die schonende In-vivo-Bildgebung mit geringer Phototoxizität und schneller Bildaufnahme”, fasst Jan Huisken die Vorteile der Technologie zusammen. Die schonende „Behandlung“ der Probe prädestiniert die LSFM dafür, lebende Organismen zu untersuchen. Hochdynamische Prozesse, wie die embryonale Morphogenese, also die Entwicklung von Organismen, Organen und Organellen besser zu verstehen, ist eines der Forschungsziele mit dieser Technologie.
Modularer Aufbau
Für die Umsetzung galt es, einige Voraussetzung zu erfüllen: So muss das System sehr robust sein, einfach aufzubauen und einfach zu bedienen. Die Lösung: ein geradliniges, unkompliziertes Design, mit bewährten Standardkomponenten, einer kleinen Grundfläche und zu möglichst niedrigen Kosten. Das ermöglicht auch unterschiedliche, applikationsspezifische Designs: Neben der L‑SPIM Bauweise, in der Beleuchtungs- und Beobachtungsstrahlengang senkrecht zueinander stehen, wird in der T‑SPIM Bauweise die Probenbeleuchtung auf zwei gegenüberliegende Optiken aufgeteilt, für eine gleichmäßigere Ausleuchtung. Wird auch die Beobachtung auf zwei Strahlengänge verteilt, entsteht das X‑SPIM Modell des Mikroskops.
Probenbewegung im Mikroskop
Eine der häufigsten Anwendungen in der Lichtblatt-mikroskopie ist die Erstellung von Z-Stacks, mittels denen die Probe in ihrer Gänze dreidimensional dargestellt werden kann. Hierfür wird die gesamte Probenkammer in Z-Richtung, also entlang der optischen Achse des Objektivs, bewegt. Für diese Aufgabe steuert PI kompakte Lineartische vom Typ L‑505 bei. Diese sehr kompakten Lineartische verfügen über einen gefalteten Antriebsstrang, Gleichstrommotoren mit Getriebe und Linearencodern und bieten einen Verfahrweg von 26 mm bei einer bidirektionalen Reproduzierbarkeit von ± 250 nm. Der Tisch zeichnet sich zudem durch eine hohe Steifigkeit und Führungsgenauigkeit durch Kugelführungen aus.
Das Drehen der Probe dient mehreren Zwecken. Häufig wollen Forscher ihre Probe aus dem richtigen Winkel (Seitenansicht, Draufsicht usw.) oder ein Organ abbilden, das, wie das Herz, nur aus bestimmten Winkeln sichtbar ist. Die andere große Anwendung für die Rotation ist die so genannte Multiview-Bildgebung. Dabei werden Z-Stapel aus mehreren Winkeln aufgezeichnet (z.B. aus 6 Winkeln, die zusammen 360 Grad abdecken). Anschließend werden die nützlichen Teile jedes Datensatzes zu einem 3D-Bild verschmolzen, das die gesamte Probe umfasst. Dies ist besonders bei größeren Proben hilfreich, da die Probe selbst das Licht streut, bricht und absorbiert, worunter die Beleuchtungs- und Detektionsqualität von tief im Innern der Probe liegenden Strukturen leidet. Daher sind mehrere Winkel erforderlich, um alle Details zu erfassen.
Die Rotation der Probe wird von einem piezoelektrisch angetriebenen Ultraschall-Drehtisch U-628 von PI unterstützt. Es bietet eine schnelle Bewegung von bis zu 720° / s bei einer Mindestschrittgröße von 51 µrad und einer bidirektionalen Reproduzierbarkeit von ±102 µrad.
Motivation und Philosophie des Flamingo-Projektes
Jan Huisken, Miterfinder der Lichtblattmikroskopie während seiner Promotion am EMBL, Heidelberg, hat das Projekt kürzlich gestartet und erläutert: „Wir wollen High-End-Lichtmikroskopie demokratisieren, indem wir es den Forschern in ihren Laboren kostenlos zur Verfügung stellen. Wir glauben, dass dies hilft, wissenschaftliche Ergebnisse zu reproduzieren, was für die Wissenschaft immer wichtiger wird.“ Michael Weber, der neue Anwendungsspezialist für die US-Ostküste im Flamingo-Projekt, fügt hinzu: „Wir stellen die Idee von zentralen Forschungsanlagen auf den Kopf. Wir möchten das Mikroskop so nah wie möglich an die Probe bringen, anstatt dass Biologen ihre empfindlichen Proben zu uns bringen.“ Das Mikroskop zum Forscher zu senden, hat einen großen Vorteil: Weder der Forscher noch die Probe müssen reisen. Da die meisten Proben sehr empfindlich auf sich ändernde Umgebungsbedingungen reagieren (z. B. Schwerkraft, Luftfeuchtigkeit, Temperatur), können sich die Forscher auf ihre Arbeit konzentrieren, anstatt sich um die Logistik zu kümmern.
Das Projekt soll zudem den Dialog zwischen Systementwicklern und Anwendern intensivieren um die Weiterentwicklung der LSFM zu befördern.
Ausblick
Derzeit ist bereits das zweite Flamingo-System für Forscher an der US-Ostküste aufgebaut. In den nächsten Monaten und Jahren sollen mehrere Dutzend Flamingos gebaut werden, um die enorme Nachfrage nach hochmodernen Lichtblatt-Mikroskopen für die Forschung in den USA und vielen anderen Ländern der Welt zu befriedigen. Thomas Bocher erklärt: "PI wird dieses philanthropische Bestreben weiter unterstützen."